Dienstag, 27. Dezember 2016

Die Weihnachtskarte

*ein Kontrastprogramm zur brandtschen "Kunstkritik* an Banksys Weihnachtskarte:
 eine maltherapeutischer Moment mit Banksy*

 Gesprächsprotokoll Sitzung vom 27.12 2016 Banksy/ Weihnachtskarte

 Banksy sitzt mit verschränkten Armen, linkes Bein über das rechte geschlagen, leicht von mir und dem Bild abgewandt, etwas mürrisch bis gelangweilter Gesichtsausdruck.


Banksy sitzt also vor seiner Weihnachtskarte.

 ich: Banksy, kannst du mir etwas zu deinem Bild erzählen?
 er: ja, ungerne, aber ich tu’s.
 ich: danke, ich hör dir zu und stelle ab und an eine Frage, okay?
 er: okay.
 er: Das ist meine Weihnachtskarte, die hab ich übrigens vor xx Jahren gezeichnet. Sie ist also längst  überholt. Aber das ist ja wohl ein Detail.
 ich: Oh wir reden also über etwas Überholtes?
 er: Ja.
 Ich: okay.
 er: soll ich noch was sagen?
 ich: wenn Du möchtest. Gerne.

 Banksy nimmt das linke Bein runter, stellt beide Füsse breitbeinig auf den Boden, lehnt seinen  Oberkörper vor, Hände vor sich verschränkt, sein Blick ist nun konzentriert auf das Bild, genauer  auf  die Bildmitte. Er kneift kurz die Augen zusammen, holt Luft.

 er: okay. Die Mauer, da, die ist wichtig. Die stört mich.
 ich: Die Mauer ist wichtig, stört dich?
 er: ja.
 ich: das dachte ich mir.
 er: wieso?
 Banksy mustert mich nun skeptisch bis feindselig.

 ich: nun, sie dominiert, für mein Empfinden das Bild und steht im Kontrast zu allem anderem darauf.  er: ja, und?
 ich: ja und?
 er wippt etwas ungeduldig mit den Zehenspitzen, seine Schuhe machen ein hartes, trockenes  Geräusch auf dem Holzboden. *tochtochtoch*

 ich: also die Mauer, die stört, ist grau.
 er: ja natürlich. So grau wie der Nebel, in dem das Atmen schwerfällt, so grau wie der Beton, an dem  ich mir den Kopf einschlage…
 Banksys Augen sind eng und gucken durchbohrend.

 ich: ich sehe aber da gerade keine Nebel, den Beton, den sehe ich.
 er: jaja. Den Nebel hab ich verscheucht, also da ist ja Licht. Siehst Du?
 Banksy zeigt auf das Lichtkreuz oben links im Bild und mit einer ausladenden Geste auf den  Lichteinfall im ganzen unteren Bildbereich. Ein leises Lächeln um den Mund.
 ich, lächle ihm zu: ah. Versteh ich richtig, du möchtest lieber darüber reden?
 er: „darüber“? hmm. Ah ja, das Licht, das ist nämlich wichtiger. Verstehst du?
 ich: das Licht ist wichtiger…?
 er: ja. Wichtiger. Wichtiger als die Mauer. Alle sehen immer nur die Mauer.
 ich: okay. Ich bin gespannt.
 er: Das Licht kommt von da oben, siehst Du?
 ich nicke.
 er: es ist zwar gleissend weiss, blendet, aber es wirft ein goldgelbes Licht auf den Boden. Muss so  sein.
 ich: ja, auf dem Boden sieht es warm aus. Erzähl mir doch davon.

 Banksy lehnt sich zurück auf dem Stuhl, Arme hinter dem leicht nach rechts geneigten Kopf. Er  wirkt sichtlich entspannter als gerade noch.
 er: also der Boden, der ist warm, er trägt.
 ich: der Boden wärmt und trägt…?
 er: ja. Er gibt mir Halt.
 ich: Gut, jetzt wissen wir wohin Du jeweils zurück kannst, auf deinen Bild, wenn es Dir zu  ungemütlich wird.
 er zieht hörbar Luft ein, mehr (An-)Spannung kehrt in seinen Körper zurück. Sitzt nun gerade,  Hände flach auf den Knien, leichte Vor-und Zurückbewegung der Hände.
 Sein Blick schweift nun wieder zur Mauer, bleibt am Wachturm hängen.

 er: vom Turm aus könnte man alles überblicken. ich: alles?
 er: ja. Alles. Früher und heute und vielleicht auch in die Zukunft.
 ich: ein geschichtlicher Überblicks-Turm?
 er: vielleicht. … nein. Der Blick ist zwar frei, aber der Rest nicht. Nein.
 ich: wir sind also wieder bei der Mauer.
 er: nein... ja... okay.
 Schweigen auf beiden Seiten.

Wir sitzen am Widerstand und warten.
Banksys Hände reiben weiter auf den Knien, jetzt etwas schneller, leichtes Flattern kommt auf.

Banksy bricht das Schweigen: da siehst Du, darum hat‘s da auch so Sprayereien. Die stört einfach. ich: wer, die Mauer?
er: ja sag ich doch.
ich: ja. Wollte nur sicher gehen. Die Sprayereien…
Banksy fällt mir ins Wort: Ja, das Gekritzel, das bricht die Fläche und Kälte etwas auf.
ich: ja, ich stelle auch fest es ist das einzige rot im Bild, und erst noch genau im Zentrum. Am ich-punkt.
er: ich-punkt? Geht’s noch? Ich bin doch nicht da mitten in der Mauer.
ich: naja, du mauerst ja schon ein wenig.
er: ach ne? Und übrigens Joseph ist auch rot.

Banksy grinst auf den Stockzähnen. Erleichtert, vielleicht.
ich: stimmt. Joseph ist auch rötlich. Das hatte ich glatt übersehen.
er: Er ist ROT.
ich: okay er IST rot.
er: hm
ich: aber du mauerst.
er: …Scheissmauer…
seine Hände flattern schneller; ich warte
er: aber Joseph ist ROT.
ich: Joseph ist rot.
 
Banksy klopft spitz und heftig mit dem Zeigefinger mitten ins Bild, auf Joseph.
Ich: wenn Joseph sprechen könnte, was würde er sagen?
er: hä?
ich decke mit Papier alles ab, ausser Joseph.


Banksy zupft am Papier, vergrössert den Ausschnitt ein bisschen. Lehnt sich nach vorne zum Bild, denkt, schweigt. Und streichelt fast zärtlich über Joseph.

Plötzlich; er: „ fuck“.. ähm, „wehrt euch, kümmert euch, liebt… egal welche Mauern da sind, innen oder aussen. „
und leise: Bin ich Joseph?
ich: bist du Joseph?
Wir schweigen.

Das ist Bild ist doch nicht überholt.