Mittwoch, 28. November 2012

zum weltaidstag: brief an meine freundin

liebste freundin
deine stimme am telefon bricht. du weinst. das erste mal seit ich dich kenne. ich weiss, jetzt ist keine zeit zu verlieren. handeln. sofort. ich ersetze meine angst mit dezitiertheit, rufe im krankenhaus an. du brauchst hilfe. jetzt. wenige momente später weiss ich dich im taxi. unterwegs. auf einer reise, die viel verlangt. von dir. vertrauen, ein stück hingabe und aufgeben. und bald auch entscheidungen. nachts fällt mir das schlafen schwer. ich fürchte mich vor erinnerungen. vor dem schmerz und der angst. ich will dich nicht hergeben. viel zu früh stehe ich morgens vor deinem bett. erschrecke. geschichten und gesichter holen mich ein. tod und trauer. aber: du, du lebst. ich sehe deine dunklen augenringe, haut und knochen. ich denke, das muss nicht sein. doch. muss. ist so. verzweiflung macht sich breit. immer wieder. noch weiss niemand was ist. die ahnungen wiegen schwer genug. 54kg. elendes virus. ich möchte es in die welt schreien. die zeit tropft. ich halte dein hand. das fieber kommt in wellen. ich schwitze und finde mich lächerlich. egoistisch. ohnmacht ist ein zustand. wie das warten. ich bin reichlich unbegabt dafür. die tage sind lang, unserer gespräche drehen sich um fragen. manchmal um deine widerspenstigkeit. eine woche lang. die tage, die ich zum arbeiten weit weg von dir verbringe, sind durchzogen. lachen und weinen, sich einlassen und verdrängen wechseln sich ab. dann endlich, vorgestern, die untersuchungen, das tägliche plagen durch blutentnahmen, magen- und darmspiegelungen und CT zeigen resultate. dein SMS erreicht mich beim kochen. der reis verbrennt. tränen auf dem gedeckten tisch. essen will ich nicht. deine stimme ist klar. viel klarer als die letzten tage. du fragst ob ich komme, zu dir, zur diagnoseeröffnung. das damoklesschwert hängt tief. ich schäme mich für meine angst. durch regen und nebel fahre ich zu dir. dein sohn ist da. dein zimmer ist bunt geworden. du siehst gefasst aus. und wütend. der arzt kommt eine stunde zu spät. im besprechungszimmer wärmt mich nur seine stimme. er spricht langsam. klar. kein wort zuviel. deine fragen schneiden. deine verzweiflung brennt sich ein. manchmal meine ich, dich flüchten zu sehen. du sitzt im rollstuhl. ich möchte dein misstrauen mit händen fassen. wegstreicheln. du willst nach hause. der arzt fragt dich, ob du dir vorstellen kannst, gesund zu werden. du redest von nebenwirkungen. ich weine. dein sohn hört zu. manchmal fühlt es sich an, als öffne sich kurz eine tür. ein windzug. hoffnung. dann liegt die angst wieder bleischwer im raum. deine hände flattern. du klopfst auf den tisch. erzürnt. verzweifelt. der arzt spricht weiter. er benennt die bedingungen.glasklar. mir scheint als hielt er dich in seinen armen. trotzdem. du bekommst alle unterlagen, schwarz auf weiss. diffuses grossflächiges b-zellen lymphom. hiv -assoziert. zurück im zimmer bricht der damm. du fragst, was hat er gesagt. wie schätzt ihr das ein. dein gesicht wird weich, hart, ungestüm. ängstlich. ich denke an die zeit, die dir nicht bleibt. an die entscheidung, die kommen muss. und sage es dir. eine freundin kommt. ich gehe nach hause. irgendwie finde ich den weg. zuhause überrascht mich meine scham, mein unvermögen. die gesichter und geschichten sind wieder da. an schlaf ist kaum zu denken. tags darauf wähle ich sämtliche deiner telefonnummern. ich fürchte dein misstrauen, deine krusten der vergangenheit. hast du genug freiheit informationen einzuordnen und eine entscheidung zu finden. ich weiss es nicht. als du mich zurückrufst, ist deine stimme anders. ich weiss: du hast entschieden. das atmen fällt mir schwer. ich warte. du sagst, du nimmst es auf dich. du willst es versuchen. mit ihm. dem arzt, der dich ernstnimmt, dich aufklärt ohne schonung. dich trägt. ich mache wilde zeichen zu meinem liebsten, der in der küche steht und zu lauschen versucht. er versteht. nimmt mich in den arm. du plauderst, plauderst, und ich weiss, es wird kein spaziergang. es wird schwerste knochenarbeit. untiefen und viele hürden erwarten dich. ich bin da. deine zerbrechlichkeit zu erleben ist ein geschenk. dein vertrauen berührt mich. deine verzweiflung und den mut herabzusteigen bis hin zur sinnlosigkeit macht mich sprachlos. die tür steht offen. wohin der weg führt weiss niemand. ich hoffe in ein neues leben. der faden in deiner hand pulsiert. das muss reichen. und übermorgen erzählen wir uns geschichten, nennen namen und denken an die, die nicht mehr sind. in liebe und dankbarkeit deine freundin m