Freitag, 29. November 2013

Weltaidstag 2013. Abschiedsbrief an Willi Wahnsinn

Zum 1.Dezember WELTAIDSTAG

Seit Jahren verkommt der Weltaidstag zum Tag der Ansteckungszahlen, Präventionsbotschaften und Spendenaufrufe.
Ich dachte es sei der Tag der Erinnerung und des Gedenkens an unsere verstorbenen Freunde, Liebsten und Verwandten, der Tag der Solidarität mit Menschen mit HIV und AIDS auf der ganzen Welt.
In diesem Sinne widme ich uns allen diesen persönlichen Text. ------------------------------------------------------------

Es scheint mir eine Ewigkeit her, dass du gegangen bist. In der Tat, ich habe 18 Jahre weitergelebt, überlebt und meine Worte an dich mit mir herumgetragen. Einmal in den Jahren, habe ich den Mut gefunden und bin zum Friedhof gefahren um dich zu suchen.
Lachend stand ich irgendwann am Grab der Unbekannten und Mittellosen, bestaunte die Stehle, die grossartig und fremd darauf gegen Himmel zeigt. Da liegst du also. Ausgerechnet.

Denn Apfel, den ich dir mitbrachte, ass ich in der Aufregung meiner Gedanken und Gefühle gleich selbst. Willi Wahnsinn.
Ja. Und wie ver-rückt war deine Welt, und meine.
Ich glaube, das erste mal, dass ich dich bewusst wahrgenommen habe, war am 14.Februar 1981. Irgendjemand hatte eine Scheibe am alten Postgebäude an der Hochstrasse eingeschlagen, und du hast dann das Fenster geöffnet und mir geholfen einzusteigen.
Wenig später sass ich neben dir als wir nach Zürich anriefen und verkündeten: Basel hat ein AJZ.

Rund 10 Jahre später haben wir uns verliebt. Ich wurde gewarnt, vor dir, vor AIDS. Als ob du mir deine HIV-Infektion je verschwiegen hättest.
Im Gegenteil, du warst der Erste, den ich kennenlernen durfte, der offen und offensiv damit umging. Und trotz allem, was wir uns später an Steinen in den Weg gelegt haben, darin bist du mir Vorbild geblieben.
Dein Engagement, dein Witz, dein Wissen und dein Widerstand haben mich vom ersten Moment an fasziniert.

Allen Unkenrufen zum Trotz, liess ich meine zwei Liebhaber und meine Geliebte stehen und zog mit Sack und Pack bei dir ein.
Unsere Tage und Nächte gehörten der Kunst, der Küche und dem Bett. Nächtelang kochen, denken, malen, schnitzen ,lieben und sonst nichts.
Natürlich hatte ich immer wieder auch eine Arbeit, oder musste eine suchen, aber das Leben fand ausserhalb der Normen statt, im Freistaat Breite, im Tippi und später in meiner Wohnung.
Wir haben Ausstellungen organisiert, Häuser besetzt, politisiert.... und nie hast du dich wegen deiner Infektion geschämt oder getrickst.

Irgendwann hat uns das Virus eingeholt. Grelle schmerzen wie Blitze in deinem Kopf. Du hast kaum noch geredet und dich verkrochen. Ich liess dich in deiner Stille. Bis ich merkte, dass noch nicht einmal mehr Augenkontakt möglich war.
Misstrauisch geworden, habe ich dir eine filmreife Szene hingelegt, dich beschuldigt, gebettelt...bis du reagieren musstest- oder wolltest.
Du hast mich angeschaut und dein Blick hat mich kalt erwischt.

Keine andere Frau, kein Mann - die Sucht hatte sich eingeschlichen. Du hattest du keine Schmerzen mehr. Dafür tanzten wir nun Tango; wir haben Jahre, Liebe, Geld und vieles mehr an deine Sucht und meine Co-Abhängigkeit verloren. Ich kann die Entzüge nicht zählen, die Rückfälle, Abstürze, meine Szenen, das leere Konto...mein Herumirren auf der Suche nach dir im Letten. Tagein-tagaus.
Unser Hoffen auf eine andere Zukunft, die Macht der Gewohnheit, das Bestehen auf dem „wir“ hat uns dennoch weitergetragen. Den einen günstigen Moment für den Ausstieg hast du schliesslich gepackt. Du warst wieder clean.

Eine letzte Chance, eine grosse Reise und mein brennender Kinderwunsch , alles oder nichts: Die Träume war zum greifen nah, leben, einfach nur leben und lieben. Nichts anderes wollte ich. Mit dir.

Das kalte Erwachen kam kurz vor der Fasnacht, mitten im Nähen und Kleistern. Ich wollt es nicht glauben, trotz dem vielen Blut, trotz der Ärztin, die mir das leblose Wesen in meinen Bauch am Monitor zeigte, Geduldig auf mich einsprach.
Die Tage danach, sind mir fremd. Ich weiss, dass ich mich verpflichtet fühlte eine HIV-Test zu machen, dass ich malte und heulte, während du schweigend an deinen Kugeln schnitztest.
Irgendwann konnte ich anrufen, meine Nummer durchgeben. „Sie sind ..äh...es sieht nicht gut aus....Der Test ist positiv... Brauchen sie Beratung?“ „Nein.“ schrie ich. Stumpf in Watte abgepackt sass ich da. Du hast mir den Hörer aus der Hand genommen, die Leitung war längst tot. Ich malte Kreuze ins Telefonbuch.

Ich weiss nicht wie lange du noch bleiben konntest, irgendwann bist du in die Stadt gefahren. Auf der Suche nach Taubheit und Milde. Ich blieb.
Dich hatte die Sucht wieder, mich das Virus. Wir fanden uns nicht mehr.

Die Nebel waren zu dicht und der Schmerz um die verlorene Zukunft zwischen uns. Selbst die kleine Brücken, die Inspiration, das gemeinsame Schaffen, halfen nicht. Wir fanden keine Worte mehr, keinen Weg. Ich ging.

Aber wohin auch immer, dein Schmerz und deine Wut eilten voraus. Eisiges Schweigen in der Stammkneipe, keineR ,der/die nicht meinte zu wissen, dass ich dich sterbend auf die Strasse gestellt hätte. Entfernte Verwandte und Bekannte sprachen mich auf HIV an, andere brachen gleich den Stab.

Ich habe dich geliebt und verflucht.

Ein Jahr leben blieb dir nach der Trennung. Ein Jahr ohne Worte der Versöhnung.
Wenige Wochen vor deinem Tod wolltest du mich sprechen, niemand kam auf die Idee es mir mitzuteilen.
Ich blieb *persona non grata* im Lighthouse und an deiner Beerdigung. Kein Abschied. Nichts.

Deinen Tod habe ich dir anfangs übel genommen, warum musstest du mir zeigen, dass eine Infektion tödlich verlaufen kann? Mich traf die Schuld zu überleben genauso, wie die plötzliche Wut infiziert zu sein.
Ich habe Jahre gebraucht für den Abschied. Habe getrauert um die verpasste Versöhnung, gewütet weil ich von den Ritualen ausgeschlossen wurde und wollte es wäre nicht wahr.

Da liegst du, unter der Stehle, du der am Schluss nur noch von Spiritualität und Kunst leben wolltest, du dem der Körper schwer und eng geworden war.
Und ich – lebe.
Medizinische Fortschritte und Resilienz sei dank.
Dein Engagement, dein Kämpfen gegen Stigma und Diskriminierung konnte ich wiederfinden, zwischen den Schatten und Erinnerungen.

Das halte ich gerne in Ehren. R.I.P Willi Wahnsinn (*20.2-1960- + 29.12.1995)