Mittwoch, 21. Mai 2014

Unter dem Deckmantel der Vielfalt

Ein Kommentar zur neuen "love-life"- Kampagne für die Gesamtbevölkerung von Bundesamt für Gesundheit BAG und Aidshilfe Schweiz AHS

Die Kampagne „love-life , don’t regret“ dient nicht der Aufklärung sondern allenfalls der Ausgrenzung. Unter dem Deckmantel der Vielfalt und Aufklärung wird Schuld und Sühne, „Sex sells“ und Desinformation, bzw. Information nur gegen Bekenntnis verkauft.

Liebe dein Leben und bereue nichts, bedient Schuld und Sühne im Namen der Prävention.
Wider allen Erfahrungen, Empfehlungen und den eigenen Leitlinien wird auf Moralin und Ausgrenzung und Selbstentwertung gesetzt.
Das ist weder förderlich für das Testverhalten, noch für einen offenen Umgang mit der eigenen Infektion und ist darum ein Stolperstein auf dem Weg zur Reduktion der Neuansteckungen. Dafür öffnet es aber dem Leugnen von Risikoverhalten und der gemeinsamen Verantwortung Tür und Tor.

Die Botschaft liest sich für Menschen mit HIV oder nahe am Risiko: Bereut, ein Leben lang! Und wenn nicht, helfen wir nach. Im Menschenbild der Verantwortlichen hat es keinen Platz für Menschen mit HIV und AIDS, die ihr Leben lieben und nicht bereuen. Menschen, die vielleicht Jahrelang mit Schuld gekämpft haben, innen wie aussen, werden zurück auf den angestammten Platz verwiesen. Denn die Schmutzigen und Schuldigen gehören nicht dazu. Wo bleibt da die Vielfalt? Dieselben Verantwortlichen bei Bund und Aidshilfe beklagen immer wieder, dass sich die Vorurteile gegenüber Menschen mit HIV hartnäckig halten und die Verbreitung von HIV begünstigen. Allerdings vornehmlich dann, wenn es darum geht Gelder für Projekte zu bewilligen bzw. Spendengelder für die „armen Diskriminierten“ zu sammeln.

Sex sells.
Ginge es um das reale Risiko zum Beispiel beim Sex zwischen Frauen, wären Sextoys, Menstruation und verletzende Sexualpraktiken das Thema. Die Kampagne bedient aber im besten Fall Heterofantasien. Die Begründung, dass auch bisexuelle und lesbische Frauen vielleicht Sex mit Männern hätten und darum ein kleines Risiko bestünde, ist ein untauglicher Versuch die dargestellte Botschaft zu erklären. Denn selbst dann ist ein Kondom zwischen zwei Frauen doch eher selten angezeigt. Von Sexualpraktiken der Frauen, die Sex mit Frauen haben, dem realen Risiko einer HIV-Ansteckung und von „harmreduction“ durch Fingerlinge, Handschuhe und Dentaldams scheinen Roger Staub (BAG) und Daniel Seiler (AHS) noch nie etwas gehört zu haben. Wär‘s nicht zum Heulen, wär‘s zum Lachen. Ganz nebenbei wird auch noch die Verräterinnen-Rolle der Frauen, die nicht ausschliesslich Sex mit Frauen haben, bedient. Der Vorwurf, dass nur sie das Virus in die Frauencommunities bringen, ist so althergebracht, wie schmerzhaft und erst noch falsch.

Die Kampagne zeigt Frauen die mit Frauen Sex haben, Männer mit Männern und Frauen mit Männer und umgekehrt; immer schön nur paarweise, möglichst ästhetisch, Keiner zu dick, Keine zu dünn, zu hässlich, nicht eine She-He, kein He-She, keine Menschen mit physischen Gebrechen… etc. Vielfalt? Nein, Sex sells. Nicht nur Vorurteile, Ressentiments und Heterofantasien werden bedient, neu wird der Bigotterie gehuldigt: "Macht was ihr wollt, aber bitte sauber, denn das ist sexy." Dazu passt der Aufruf sich selbst für den guten Zweck filmen und fotografieren lassen, was natürlich etwas ganz anderes ist, als Soft-Pornographie oder Sexting.

Aufklärung geht anders. Auf der Kampagnen-Seite befindet sich ein Manifest, ein Mantra genau genommen:
„Ich geniesse mein Leben. Das bin ich mir schuldig /Ich liebe meinen Körper. Deshalb schütze ich ihn/ Ich bereue nichts. Dafür sorge ich.“
Ich weiss gar nicht, warum diese Kampagne den Fundamentalisten unter den Gesundheitspolitkern und den Vertreterinnen von religiösen Kreisen nicht gefällt? Denn: wer das Bekenntnis zu Unschuld, Gesundheit und Sauberkeit nicht unterzeichnet, dem sind detaillierte, weiterführende Informationen nicht zugänglich! Das heisst, nur wer sich brav verpflichtet nie und nimmer ein Risiko einzugehen, wer also auf die drei Gebote schwört, der oder die erfährt wie Risiken vermieden werden können. Sprich: ist es wert gesund zu bleiben. Spätestens nach 30Jahren AIDS Arbeit sollte klar sein: Zugang zu Information für Alle ist Pflicht. Was hiesse eine ehrliche, zielführende und sinnvolle Aufklärung zu machen, anstatt nur Aufmerksamkeit zu erregen und gleichzeitig zu moralisieren und urteilen. Nein, die Aidshilfe und der Bund sind nicht mutig. Mutig wäre zu sagen: informiert Euch, handelt gemeinsam die Schutzstrategien aus, die Euch behagen. Entscheidet Euch selbst. Es lohnt sich. Mutiger wäre zum Beispiel endlich auch die Nichtinfektiosität unter erfolgreicher antiviraler Behandlung zu thematisieren.

Zu welchem Preis?
Die «Love Life»-Kampagne kostet 2 Mio. CHF/Jahr. Dies wird in einem Atemzug genannt mit dem Betrag von ca. 25‘000 CHF für eine einzelne HIV-Behandlung/Jahr. Ganz abgesehen davon, dass der Beweis wie viele Infektionen mit dieser Kampagne tatsächlich verhindert werden, nicht erbracht werden kann, ist es ein weiterer Hieb gegen Menschen mit HIV. Bereut nicht nur dass ihr infiziert und nicht mehr sexy seid, bereut auch, dass eure selbstverschuldete Krankheit so viel Kosten verursacht. Und immer wird der Vergleich mit anderen Gesundheitskosten vermieden, aber für den Selbsterhalt derjenigen, die bei AHS und Bund ihrer Arbeit oder ihrer Herzensangelegenheit in Sachen HIV und AIDS nachgehen, ist es allemal dienlich.
Von einer Präventionskampagne für die Gesamtbevölkerung erwarte ich, dass sie sich respektvoll an Alle wendet; dass sie Aufklärung und Information bedingungslos und vollständig zur Verfügung stellt. Denn: Wenn die Kampagne sich nur an Menschen richtet, die sich verpflichten kein Risiko einzugehen, werden genau die Menschen nicht berücksichtigt, die Aufklärung und Information dringend nötig hätten und das Ziel der Minderung der Neuansteckungen wird ad absurdum geführt. Gerade auch durch die diskriminierende Botschaft denen gegenüber, die das Virus weitergeben könnten, ob sie von ihrer Infektion wissen oder nicht.

Oder anders gesagt: Man bleibt unter sich. Das ist Ausgrenzung im Namen der Aufklärung, und Vielfalt nur normiert und nach „Vorschrift“.
Das ist mehr als ein Rückschritt.
Bezahlen tun wir ihn alle, die einen nur mit den Steuern, die anderen obendrauf mit sich selbst verleugnen oder aber mit Ausgrenzung. Wen wundert‘s, dass trotz staatlich subventionierter „Aufklärung“ die Neu-Infektionszahlen noch lange nicht so rückläufig sind, wie sie sein könnten?

Hölstein, 21.Mai 2014 
Michèle Meyer, Aids-Aktivistin