Dienstag, 24. Juni 2014

offen und öffentlich



Mein öffentliches Leben mit HIV

   ( zuerst veröffentlicht auf : ivinfo, ein blog auf wordpress.com.  Notizen zur Schweizerischen Invalidenversicherung, Behinderung & Gesellschaft )
Seit meiner Diagnose lebe ich offen und öffentlich mit HIV. Es war zuerst meine einzige Möglichkeit auf das Fremdouting durch meinen damaligen Partner zu reagieren. Zugleich war es meine eigene Möglichkeit, mit der Diagnose umzugehen, in einer Zeit in der es noch keine antivirale Therapie gab und die Vorurteile gegen Menschen mit HIV/AIDS medial noch mehr zelebriert wurden (Wobei dies nach wie vor Usus ist, wenn auch oft subtiler als auch schon).
Mein Bedürfnis mich mitzuteilen und mit der Diagnose klarzukommen wurde nach etwa zwei Jahren abgelöst durch die Erkenntnis, dass es möglich war, an den Bildern zu rütteln, Menschen zum Denken anzuregen und die Erfahrung, dass sich Vorurteile zumindest teilweise aufweichen liessen. Ich verstand meine Sichtbarkeit als Verantwortung, als Beitrag an eine Welt, in der Vielfalt Reichtum bedeutet und Scheitern zum Leben gehört, genau so wie Krankheit und Tod.
In Absprache mit meiner Ursprungsfamilie ging ich jedoch gewisse Kompromisse ein, z.B. keine Einsätze in der Schulprävention in Basel-Stadt, solange meine jüngste Schwester noch zur Schule ging.
Fast ein Jahrzehnt nach der Diagnose – ich war längst nicht nur regional und national in Sachen HIV/AIDS unterwegs, sondern auch international vernetzt und engagiert – wurde mein grösser Wunsch wahr: Ich wurde Mutter. Die medizinischen Fortschritte und mein Glück zu Überleben, hatten mir die Entscheidung dazu ermöglicht. Niemand- und zuletzt ich selbst – hatte daran gedacht oder gar damit gerechnet. Nun stellte sich die Frage nach Engagement und Öffentlichkeit nochmals neu. Soll ich weiterhin mein Gesicht und meine Stimme für Menschen mit HIV und AIDS in der Öffentlichkeit wirken lassen?
Nach fast einem Jahrzehnt AIDS-Aktivismus eine fast groteske Frage, insbesondere im Zeitalter des Internets – als ob es einen Weg zurück in das Private gäbe. Nach soviel Medienarbeit, nach Dokfilmen und vielem mehr. Mein jetziger Partner war klar dagegen, ich selbst haderte. Nicht wegen mir, sondern wegen ihm und vorallem wegen den Kindern. Ich sprach mit anderen Eltern, welche selbst mit HIV/AIDS lebten. Fast alle waren einstimmig dafür, die Kinder zu schützen. Und sie verstanden Schutz nur als Unsichtbarkeit, als Rückzug und gemeinsames Familiengeheimnis. Wobei bei allen, die Kinder nicht wussten (wissen durften?), dass einer oder beide der Eltern mit HIV/AIDS lebten. Ich erfuhr, dass sie im geschützen Rahmen zwar mit mir sprachen, mich in der Öffentlichkeit aber nicht kennen wollten, um ihre Kinder zu schützen.
Und, viel schwieriger, mir wurde in der eigenen Entscheidungsphase bereits Verantwortungslosigkeit und Missbrauch(!) meiner Kinder vorgeworfen. Und das notabene, nachdem ich mich schon in Schwangerschaft und nach der Geburt, trotz medizinischen Fortschritten und klarer Unterstützung der Ärzte, dauernd verteidigen musste, Mutter geworden zu sein. Ich weiss heute nicht mehr, was mehr gewogen hat, die Unterstützung meines Liebsten, die vorauseilenden Vorwürfe und Unterstellungen oder die traurige Vorstellung meinen Kindern ein Geheimnis aufzubürden, bei welchem ich fürchtete, sie noch mehr zu belasten, als mit der eigentlichen Tatsache meiner Infektion. Oder auch bloss die Erkenntnis, dass es einen Weg zurück, «behind the curtain», schlicht nicht gibt.
Wir haben jedenfalls als Eltern gemeinsam beschlossen, offen und teilweise öffentlich als Familie mit HIV/AIDS zu leben. Unsere Kinder wuchsen von Anfang an damit auf, dass Mama infiziert ist und sich in den Medien zum Leben mit HIV/AIDS äussert. Sie waren bei Medienanlässen, Konferenzen, Workshops und Selbsthilfe-Unternehmungen mit dabei. Wir haben ihre Fragen nach und nach beantwortet, immer soviel wie sie wissen wollten, und als sie sich selbst immer besser ausdrücken konnten, haben wir sie immer gefragt ob sie dabei sein wollen. Ob auf Fotos, auf Podien, in Dok-Filmen oder wo auch immer.
Mir ist klar, dass die Kinder, trotz unseren Erklärungen nicht einschätzen konnten, was Öffentlichkeit mit sich bringt. Jedenfalls in den ersten Jahren nicht. Zunehmend aber fällt es ihnen leichter und sie entscheiden mal so, mal so. Prinzipiell ist es für sie selbstverständlich, dass ich mich in der Öffentlichkeit äussere. Meine ältere Tochter erklärte dies ihren KameradInnen einmal so: «Mama hat ein Virus, aber sie schämt sich nicht, wie andere, darum kommt halt manchmal das Fernsehen».
Dass meine Kinder mit einem gefüllten Rucksack unterwegs sind, ist mir bewusst. Lakonisch könnte ich sagen, dass dies alle Kinder sind. Viel näher liegt mir aber, festzuhalten, dass wir sehr wohl vorsichtig umgehen miteinander. Zuallererst indem wir immer Selbstverständlichkeit mit Selbstachtung und Selbstbewusstsein vermittelt haben und uns nie schamvoll oder schuldbewusst versteckt haben.
Und wenn Diskriminierung, Spott und Schlimmeres uns trifft, stehen wir das gemeinsam durch.
Der Text entstand aufgrund einer Twitterdiskussion zum Thema, wie Eltern in der Öffentlichkeit (v.a. der sozialen Netzwerke) verantwortungsvoll mit der Privatsphäre ihrer Kinder umgehen.